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Digital – Trivial?

Vom Blasendruck zum PNA

In der AHA-Geschichte über das Wildpinkeln haben wir damit begonnen, uns dem Thema Digitalisierung zu nähern. Das Predictive needs assessment, kurz PNA, haben wir erfunden. Am Etappen-Ende steht die Frage, wie wir uns ein analog-digitales Zweckbündnis vorstellen können und wie wir es gestalten möchten.

Im folgenden Beitrag machen wir zunächst einen Schritt zurück und fragen, was Digitalisierung überhaupt bedeutet.

Die Staffel insgesamt soll dazu anregen, die grassierende Digitalisierungs-Hype kritisch-skeptisch zu beobachten, um bei unserer Wirklichkeitsgestaltung im Analogen „gute“ Entscheidungen zu treffen.

…ieren

Wir polieren, manipulieren, probieren, konsumieren, operieren, kreieren, absolvieren, integrieren …

Im Zusammenhang eines Satzes mit einem solchen Verb erwarten wir dann den Akkusativ, nach dem wir fragen können: Wen oder was? Viele Verben mit „…-ieren“ beschreiben Handlungen an und mit etwas oder jemandem. Manche der Handlungen verändern das Objekt des Handelns und Behandelns, so wie beim kreierenden Bearbeiten des Holzes im Bild.

Wie ist das mit dem Digitalisieren? Wen oder was behandeln wir dabei? Und wozu? Wem nutzt das? Wie verändert sich das Objekt oder das Subjekt? Kann Digitalisierung Schaden anrichten?

Digitus, der Finger

Mit den Fingern lernen wir zählen. Digital heißt „mit dem Finger“, einzeln, zählbar oder auch diskret, wie Mathematiker und IT-Leute sagen. Wenn wir etwas digitalisieren, dann machen wir es zählbar: Wir nehmen das Glatte, das Analoge und machen es diskret.

Vom analogen Damals …

Beispiel Fotografie: Mit analogen Kameras fangen wir das Licht, das ein Objekt reflektiert, über geschliffene Gläser eines Objektivs ein und lenken es auf das Filmmaterial. Alles weitere ist Chemie: Die Reaktion lichtempfindlicher Silbersalze, die Umwandlung in metallisches Silber im Entwicklerbad, die Belichtung von Fotopapier und dessen anschließendes Baden und Fixieren in weiterer Chemie … am Ende halten wir ein Unikat in der Hand, ein Artefakt.

Der Entstehungsweg über die analogen Etappen ist zwar rückwärts nachvollziehbar, aber nicht eins zu eins duplizierbar: Die Schritte werden von Unberechenbarem, Zufälligem begleitet: Neuer Termin in der Dunkelkammer mit gleichem Negativ … neues Ergebnis!

… zum digitalen Heute.

Die Optik, das Glas, begleitet uns auch noch im digitalen Heute. Alles weitere jedoch funktioniert elektronisch, digital. Der Sensor hat den Film ersetzt. Er wandelt seine Erkenntnisse in Binär-Code um und gibt ihn an ein Speichermedium ab. Die Inhalte lesen wir aus, um sie mit geeigneter Software nach Belieben weiterzuverarbeiten. Wir speichern eine Exportdatei und können davon massenhaft teilbare, unterschiedslose Kopien streuen. Ein Unikat haben wir nicht!

Der digitalen Weg ist eins zu eins wiederholbar, sofern die Software nicht verstorben ist und ihre Rezeptdaten mitliefern kann. Ohne diese Informationen ist der erzeugte 0-1-Code auch als Ergebnis der Sensorik einer Maschine denkbar oder als Status-Update nach dem Scanning einer Paketsendung oder oder … der Rückschluss vom digitalen Finale auf die reale Ouvertüre ist nicht mehr möglich.

Maschinen sollen gehorchen.

Was genau passiert beim Wandel vom Analogen ins Digitale, also bei der Digitalisierung? Wir fragen die Technik und schauen nach, wie eine maschinelle Anlage arbeitet und gesteuert wird. Später schauen wir uns das Verhältnis Digitalisierung zu Mensch an.

Die Maschine erhält Steuerungsbefehle und arbeitet eine Schrittfolge ab, etwa die Zerspanung eines Werkzeugstahls oder den Spritzguss eines Kunststoffteils. Sie liefert Zustandsmeldungen … und irgendwann die „Fertig“-Meldung.

Damals Hebel – jetzt Code

Analog operierende Maschinen erfordern Einstellungen über Hebel, Räder, Schrauben und ähnliches, sie werden manuell gesteuert, die Zustände bis zum Ergebnis mit Menschenauge überwacht und geprüft.

Digitalisierte Anlagen erhalten die Eingangsbefehle als Programm-Code. Während des Prozesses erzeugen Sensoren aus analogen Signalen Messdaten. „Zu diesem Zweck wird die Amplitude des analogen Signals in gewissen Abständen und Stufen geteilt (»gesampled«)“. So beschreibt es das Unternehmermagazin 1/2-2022, S. 22. Messwandler nehmen die Signale auf: „Diese Stufen sind dann digitale Informationen, die dank ihrer verschiedenen Höhen eindeutig sind.“ (Quelle ebenda). Im Zusammenspiel sprechen wir vom Analog-Digital-Wandler (AD-Wandler), der analoge Kapazitätswerte digitalen Stufen (Bits) zuordnet und damit Monitoring, Steuerung und Qualitätskontrolle des Prozesses erlaubt.

Es rauscht.

„Dabei spielt die Stufenzahl (Auflösung) die entscheidende Rolle.“ so die schon zitierte Quelle. Diese Art der Quantisierung (Sampling) glatter Realität hat den Nachteil, den der Techniker die Granularität nennt: Die Stufung liefert diskrete Werte ohne ein Dazwischen, sie bildet das analoge Glatte also (nur) in einer bestimmten Auflösung ab. Der Sensorik-Spezialist spricht vom Quantisierungsrauschen.

Hier haben wir die Anknüpfung an die Fotografie, denn auch in der digitalen Bilderzeugung und -bearbeitung kennen wir das Rauschen: das Pixel-Rauschen (Noise). Es äußert sich bei starker Vergrößerung in sichtbarer Granularität des Bildes. Wir erkennen, daß der Sensor in der Kamera keine homogene „Rezeptionsfläche“ bildet, sondern in Millionen kleine Felder (Pixel) aufgeteilt ist. Analoge Fotografen kennen das noch als „Korn“; es gab fein- und grob-körnige Filme und Papiere (ASA 100, ASA 400 …).

Mit Rauschunterdrückungsverfahren (Noise Reduction) kann der digitale Fotograf die Granularität mindern: Die fehlenden Zwischenräume werden rechnerisch hinzugedichtet, die Stufung erscheint weniger hart, allerdings zu Lasten der Schärfewirkung des Bildes insgesamt.

Wie glatt? Wie leise?

Techniker wie Fotograf müssen entscheiden, welches Maß an Rauschen sie akzeptieren können, ohne das Qualitätsziel zu gefährden. Je „leiser“ das Ergebnis sein soll, je näher das gestufte Abbild also dem glatten Original kommen soll, desto aufwendiger der Mitteleinsatz. Eine Kröte ist immer zu schlucken.

Das, was nicht gemessen wird!

Im Produktionsprozess werden mannigfaltige Signale erzeugt. Aber zur Messung treffen wir jeweils nur eine Auswahl: Was erscheint wichtig und relevant im Sinne welcher Steuerungsziele? Für welche Signale verfügen wir über geeignete Messtechnik? Bis wohin wollen und können wir den ökonomischen Aufwand treiben und beherrschen?

Mit unserer Positivliste des zu Messenden müssen wir alles andere mitdenken, alles, was wir als nicht messfähig oder -würdig abwählen. Die Vermutung liegt nahe, daß unsere Auswahl nur eine kleine Teilmenge der Signaloptionen der Maschine in ihrem Kontext berücksichtigt. Die Maschine könnte andere „Geschichten“ erzählen, viele andere!

Gatekeeping

Wir können als vorläufiges Fazit lernen: Die Wandlung glatter, analoger Inhalte in diskrete Informationen ist als Modellierung immer eine Art der Vereinfachung, Komplexitätsreduzierung oder Trivialisierung. Sie macht das Ergebnis handhabbar für Folgeschritte. Mit veränderten Annahmen und Vereinfachungsregeln könnten wir beliebig viele Varianten, also „Geschichten“, des Modells erzeugen.

Wer bestimmt über das Design dieser AD-Wandlung? Wer hat die Hoheit des Gatekeepings? Darüber werden wir nachdenken, sobald wir den Menschen als Systembestandteil einbeziehen.

Das passiert im Folgebeitrag demnächst auf dieser Seite unter GESCHICHTEN.